Verkehrter Verkehr: Wie schafft man eine Stadt für Menschen?
Autofreie Städte lebenswert gestalten

von Elita Wiegand

Wir lieben und verehren es und wird sind abhängig, denn es schenkt uns Freiheit, verleiht uns Macht und grenzenlose Beweglichkeit. Doch die Liebe hat uns blind gemacht, schadet uns, ist schmutzig, laut und hat längst ausgedient. Doch wie lösen wir uns aus der engen Beziehung zum Auto? Kopenhagen zeigt, wie eine Mobilitätswende gelingt.

Der Traum vom guten Leben

Sich aus einer Beziehung zu lösen, die uns prägt, ist kein leichtes Unterfangen. Das Auto zählt seit Jahrzehnten zum Traum von einem guten Leben. Architekten und Stadtplaner haben die Städte autogerecht gestaltet, die Blechkarossieren hatten gegenüber anderen Verkehrsmitteln immer Vorfahrt – die Tonne Stahl auf vier Gummirädern wurde zum Narrativ der Modernen. Die Folgen: Menschenleere Betonwüsten, Parkplätze statt Lebensraum, graue, öde Autostädte, in denen Menschen kaum noch vorkommen.

Sind autofreie Städte die Zukunft?

Nun wird der Ruf nach autofreien Städten oder Quartieren lauter, nicht zuletzt deshalb, weil Kommunen klimaneutral werden müssen. Der radikale Umbau des Straßenraums und von Wohnvierteln ist angesagt, um den grauen Einheitsbrei in grüne Oasen zu verwandeln. Kopenhagen ist Pionier – und hat eine Stadt für Menschen durchgesetzt. Doch wie ist der Umbau in Kopenhagen gelungen?

Jan-Gehl Verkehrter Verkehr: Wie schafft man eine Stadt für Menschen?

Der Professor, Architekt und Stadtplaner Jan Gehl befasst sich seit mehr als 40 Jahren damit wie Plätze, Quartiere und Straßen zu Orte der Begegnungen werden

Die Transformation in Kopenhagen

Der dänische Architekt Jan Gehl hat die Vision einer lebendigen, sicheren, nachhaltigen und gesunden Stadt. In Kopenhagen ist er deshalb eine Legende. Bereits in den 1960er Jahren begann man in Kopenhagen mit dem Umbau. So wurde der Strøget, die beliebte historische Hauptstraße 1962 in eine Fußgängerzone umgewandelt – und Kopenhagen hat sich 2009 dazu entschieden, die fahrradfreundlichste Stadt der Welt zu werden. Nach vielen Jahren, in denen Fußgängerflächen immer stärker beschnitten wurden, ergriff Kopenhagen als erste europäische Stadt die Initiative und begann den Autoverkehr und Parkplätze in der Innenstadt zu reduzieren, um dem Stadtleben mehr Raum zu geben. Zudem sollen die Bürger*innen mehr zu Fuß gehen und viel mehr Zeit auf Plätzen und Straßen verbringen.

Ziele mit den Bürger*innen kommunizieren

Die Ziele müssen jedoch für ihre Bürger*innen kommuniziert und das Bild einer lebenswerten Stadt entwickelt und verbreitet werden. Kopenhagen hat Bedingungen für Fußgänger und die Belebtheit ihrer Stadtzentren nicht nur systematisch verbessert, sondern diese Entwicklungen auch aufgezeichnet, sodass sie die baulichen Veränderungen und den Umgang der Bevölkerung mit den neu gestalteten Orten dokumentiert werden können.
Um eine Stadt zu verändern, braucht es starke Persönlichkeiten in der Kommune, Oberbürgermeister*innen, Landräte oder Politiker*innen, die den Mut haben, das Ziel anzupacken.

Eine Mammutaufgabe

Doch es ist eine Mammutaufgabe und viele Bedenkenträger, Blockaden und Hindernisse stehen im Weg. Die Lösung: Nicht von heute auf morgen die Stadt verändern, weil Widerstand zu erwarten ist. Vielmehr Schritt für Schritt, behutsam und doch fokussiert die Transformation gestalten. Kopenhagen hat kontinuierlich Jahr für Jahr zwei bis drei Prozent der Parkplatzflächen gestrichen. Der Vorteil liegt auf der Hand, den Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen zogen mit, zeigten sich begeistert. Das garantierte den Erfolg, denn der Umbau war zwar spürbar, aber nie schmerzhaft.

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Wie wirkt sich der Verkehr auf das Verhalten der Menschen aus?

Wie sich der Verkehr auf das Verhalten der Menschen auswirkte, wurde auch untersucht. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Bürger*innen den Autoverkehr immer stärker ablehnten. Sie wünschten sich, dass sich Straßen und Plätze in Begegnungsräume wandeln.

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Der Architekt Jan Gehl hat dazu viele Jahre an der Kopenhagener Universität geforscht und die Nutzung des öffentlichen Raums untersucht. Studien, die belegen, wie lange sich Passanten an ihren Lieblingsplätzen aufhalten, ob sie sich auf eine Bank setzen oder schnell unterwegs sind. Von den Ergebnissen hat die Stadt profitiert, weil sie konsequent umgesetzt wurden.

Der Paradigmenwechsel ist gelungen – und so gilt Kopenhagen als Vorbild für viele andere Städte.

Fotos: Flickr, Copenhagen’s Car-Free Streets & Slow-Speed Zones