brand-eins-Gabriele-Fisch brand eins: Pfadfinder der Wirtschaft im Wandel

Gabriele Fischer, Chefredakteurin des Wirtschaftsmagazins brand eins

Pfadfinder der neuen Wirtschaft

Für den Wandel in der Ökonomie brauchen wir Orientierungshelfer und Pfadfinder. Das Wirtschaftsmagazin brand eins versteht sich als Navigator und macht sich seit vielen Jahren zur Aufgabe, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen zu durchleuchten. Elita Wiegand hat die brand eins Chefredakteurin Gabriele Fischer interviewt.

Als brand eins zum ersten Mal erschien, waren sicher einige über die neue Form eines Wirtschaftsmagazins überrascht und viele haben sich gefragt, ob dafür die Zeit reif ist. Wie erinnern Sie sich an die Anfänge?

Gabriele Fischer: Zu den Anfängen gehört zunächst „Econy„, das 1998, kurz nach der Gründung des neuen Marktes erschien, und sehr gut in die Zeit passte. Das Magazin beschäftigte sich mit den neuen Gründern, die sich mit Software, Biotechnologie oder Internetideen selbstständig gemacht hatten und die Industriegesellschaft hinter sich lassen wollten. Für diese Zielgruppe hatten wir damals eine neue Sprache und eine neue Optik gefunden. Das Ende von Econy ist bekannt, aber wichtiger ist: Wir haben von und mit Econy viel gelernt.

Als wir 1999 brand eins entwickelten ahnten wir schon, dass der neue Markt auf dem absteigenden Ast und unsere ursprüngliche Idee, ein Forum für diese neue Gründergeneration zu schaffen, zu eng war. Wir wussten durch Econy aber auch, dass es ein Interesse an einer neuen Form von Wirtschaftsberichterstattung gibt.

Doch Manager lieben Erfolgsstorys über Gewinne, neue Märkte, Rendite, gestiegene Aktienkurse, noch mehr Umsatz, Zahlen und Fakten. Falsch?

Gabriele Fischer: Es gibt sicherlich einen Bedarf an den gängigen Wirtschaftsmagazinen, sonst würden sie keine Auflagen erzielen. Doch daneben gibt es eine Menge Leute, die sich davon nicht angezogen fühlen. Mit dem Neuanfang von brand eins haben wir damals unsere Ziele klar formuliert: Wir wollen sehr viel mehr Wirtschaft und Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und Wirtschaft und Kultur verbinden. Wir haben uns als neues Grundthema Veränderung gesetzt, also weg von der Industriegesellschaft hin zu einer anderen Form der Ökonomie. Und bei diesem Prozess, so unser Selbstverständnis, soll brand eins Navigator, Orientierungshelfer und Pfadfinder auf dem Weg in eine neue Wirtschaft sein. Wir wissen zwar auch noch nicht genau, wie unsere Gesellschaft künftig aussehen wird, aber wir sind ständig mit der Frage beschäftigt, wie sie aussehen könnte.

Viele sprechen in dem Zusammenhang von neuen Werten, Ethik  und einem Abschied vom Shareholder Value Denken. Sind diese Wünsche Blütenträume, die jeglicher Realität entbehren?

Gabriele Fischer: Nein, das glaube ich nicht. Vieles ist bisher nur Hoffnung oder Utopie, aber wenn man sich die Wirtschaft heute und vor zehn Jahren anschaut, hat allein das Internet für neue Produktionsformen gesorgt und eine völlig neue Form der Kommunikation, aber auch der Kooperation hervorgebracht. Ob es am Ende auch zu einer besseren Wirtschaft führt, ist abhängig von jedem Einzelnen. Die Veränderungen sind da und die kann man in jeder Branche erkennen.

Trotzdem halten viele in der Wirtschaft an dem „old Business“ fest, sehnen sich nach alten Kaufmannsregeln, nach Geschäften, die mit einem Handschlag abgeschlossen werden.

Gabriele Fischer: Das ist verständlich, denn im Moment scheint der gute Kaufmann ein Auslaufmodell zu sein. Aber wenn etwas zu Ende geht, kommt es oft vorher noch einmal zu einem Exzess. Das Neue braucht seine Zeit, bis es ankommt. Wir müssen jedoch mit der Meinung vorsichtig sein, dass der gute alte Kaufmann verspielt habe. Im Mittelstand gilt das Bild des Handschlags immer noch und wir dürfen nicht vergessen, dass wir auch eine gesunde und solide Form der Wirtschaft haben, die erfolgreich ist. Es ist eine Frage, wo wir hinschauen: Richten wir unseren Blick immer nur auf die Unternehmen und Konzerne, die sich die Taschen voll machen oder konzentrieren wir uns auf die Firmen, die verantwortlich handeln.

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Also richtet brand eins den Blick auf das Positive?

Gabriele Fischer: Ich wäre vorsichtig mit dem Urteil, dass wir nur positive Geschichten veröffentlichen. Das stimmt deshalb nicht, weil wir alle Probleme der Welt beschreiben. Unser Fokus richtet sich jedoch darauf, dass es für Probleme immer auch Lösungen gibt. Wenn wir zum Bespiel über die desolaten Gesundheitszustände in Afrika schreiben, dann tun wir das über ein Krankenhaus, das ohne Unterstützung eine unglaubliche Arbeit leistet. Wir wollen immer wieder darauf hinweisen, dass jeder etwas ändern kann. Zu brand eins gibt es übrigens auch andere Meinungen, die behaupten, dass wir ein sehr kritisches Magazin seien, weil bei uns beispielsweise mehr über Führungsprobleme steht, als in anderen Magazinen.

Ihre Form des Journalismus ist in der Medienlandschaft immer seltener anzutreffen. Für Recherche bleibt Redakteuren weniger Zeit, der Druck hat sich erhöht, weil die Auflagen der Printmedien sinken und sich die Abhängigkeit von den Anzeigenkunden verstärkt.

Gabriele Fischer: Es gibt guten Journalismus und weniger guten. Das Internet und die wirtschaftliche Situation haben fast alle Medien getroffen. Und sicher gibt es eine größere Aufgeregtheit und einen Run auf Sensationen, weil die Konkurrenz größer geworden ist. Ich war früher beim Manager Magazin und dort gibt es bis heute die Rubrik: „Namen und Nachrichten“, die der langen sehr verschlossenen Kaste der Manager auf den Zahn fühlt. Viele Jahre war das ein Alleinstellungsmerkmal, aber inzwischen haben andere nachgezogen und heute sind solche Geschichten eigentlich das Hauptgeschäft der meisten Wirtschaftsmedien. Das bedeutet, um exklusive News zu veröffentlichen, muss man entweder fälschen oder extrem schnell sein. Das macht heute den Journalismus mühsam und deshalb ist auch das negative Bild der Medien entstanden.

Was hat sich für Sie persönlich durch brand eins verändert?

Gabriele Fischer: Ich mache den grandiosesten Job, den ich mir jemals hätte vorstellen können. Ich habe nichts mehr zu jammern.

Die erste Ausgabe von brand eins erschien im September 1999 mit dem Schwerpunkt „Die Lust am Neubeginn“. Vielleicht haben Sie nichts zu jammern, aber Sie sind mit brand eins in die Rolle der Verlegerin geschlüpft und sind damit auch Unternehmerin. Welche Fehler haben Sie gemacht?

Gabriele Fischer: Wir haben jeden Fehler gemacht, den man in einem eigenständigen Unternehmen machen kann. Wir waren damals auf die neue Situation nicht vorbereitet. Die Gespräche mit den Banken, die Suche nach Investoren, die Verantwortung für die Mitarbeiter, die Sorge, das Ziel niemals zu erreichen, waren enorm. Nach zehn Jahren Wirtschafsjournalismus hatte ich keine Ahnung von einer Unternehmensbildung oder vom Magazinmarkt. Wie ein Anzeigenmarkt und der Vertrieb funktionieren, wussten wir auch nicht – das war eine harte Schule. Doch es war eine gemeinsame unternehmerische Entscheidung in die Idee zu investieren, und deshalb waren wir auch in den düsteren Zeiten gemeinsam stark.

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„Wollen wir Fehlertoleranz?“, haben Sie in einem brand eins Heft gefragt. „Wie ist es bei Ihnen?

Gabriele Fischer: Ich habe mir abgewöhnt, nach Fehlern bei anderen zu suchen. Ist intern etwas schief gegangen, muss man sehen, wie man das künftig verhindern kann. Und wenn wir als Journalisten auf ein Unternehmen sehen, das insolvent gegangen ist, interessiert mich die Frage, was da passiert ist, was man daraus lernen kann. Ich suche keinen Schuldigen und will auch keinem Unternehmer beweisen, dass ich es besser könnte. Wenn man selbst unternehmerisch tätig ist, wird man demütig.

brand eins proklamiert auch eine Wertekultur in Unternehmen. Wie setzen Sie Ihre Vorstellungen in der Redaktion um?

Gabriele Fischer: Der größte Unterschied ist, dass es bei brand eins keinen Arbeitgeber gibt. Unser Arbeitgeber ist das Heft. Wir haben uns von Anfang an darauf geeinigt, dass alle für das Heft verantwortlich sind. Ein weiterer Vorteil: Unsere Redaktion ist nicht nach Ressorts aufgeteilt und jeder liest jede Geschichte und redigiert auch die Artikel des anderen – das sorgt dafür, dass alle hinter dem gemeinsam produzierten Produkt stehen. Zudem kennen wir keine festen Arbeitszeiten. Die Produktion ist auf sieben Tage im Monat verteilt und in dieser Zeit fahren wir Volllast. Danach sind viele unterwegs und schreiben ihre Geschichten. Es gibt zwei feste Termine für die Konferenzen und alles andere entscheidet jeder Journalist selber. Es gibt viele Bausteine, die dafür sorgen, dass jeder selbstständig arbeitet, sich als Mensch ernst genommen fühlt und respektiert wird.

Es gibt viele Unternehmer, die gerne in brand eins über sich lesen würden. Warum eigentlich?

Gabriele Fischer: Es gibt einige Unternehmen, die das gerne wollten und dann anschließend fassungslos darüber waren, dass ihnen kritische Fragen gestellt wurden. Wir sind eben nicht nur freundlich, sondern wollen Wirtschaft verstehen. Dazu gehört, dass wir gut recherchieren und uns nicht nur auf die Produkte konzentrieren, sondern das Unternehmen umfassend vorstellen. Das kann zu negativen, aber auch positiven Überraschungen führen. So haben wir zum Beispiel über die Schweizer Trisa AG berichtet, die Zahnbürsten herstellt, ein Produkt, von dem man vermutet, dass es in einem Billiglohnland hergestellt wird, das aber in der Schweiz produziert wird. Dieses Unternehmen hat sich der Veränderung gestellt und in den vergangenen 30 Jahren die Anzahl der Mitarbeiter, vor allem der hochqualifizierten Mitarbeiter verdreifacht. Die Geschichte beschrieb diesen Prozess, und die eher zurückhaltenden Schweizer waren am Rande der Euphorie: Der Artikel hatte ihnen den eigenen Erfolg wieder einmal so richtig bewusst gemacht.

brand eins hat vor vielen Jahren geschrieben, dass uns in Zukunft nicht die Arbeit ausgehen wird, sondern das Einkommen. Ist das Grundeinkommen für Sie die Zukunft?

Gabriele Fischer: Man darf sich da nichts vormachen: In der Transformation werden weniger Menschen mehr Wertschöpfung erzielen, als das in der Industriegesellschaft der Fall war. Zu tun bleibt dennoch genug, es fehlt uns nicht an Arbeit, aber diese Arbeit ist heute noch oft schlecht bezahlt, ins Ehrenamt abgedrängt oder wird gar nicht wahrgenommen. Und eine Gesellschaft muss sich überlegen, wie sie damit umgeht und wie ein Gemeinwesen gestaltet werden kann, dass auch die Schwächeren mitnimmt. Wie können wir Menschen dabei unterstützen, eigene Ideen zu entwickeln und das Leben mitzugestalten? Wie gesagt, es gibt genug zu tun, aber wir müssen die Arbeit neu definieren. In der Übergangszeit wird es viele Schmerzen und Schwierigkeiten geben. Das Grundeinkommen ist für uns eine Lösung, die diesen Übergang erleichtern kann. Zwar haben wir mit Hartz VI schon eine Art Grundversorgung – aber die ist auf Kontrolle angelegt und damit für die Menschen mit unendlich viel Demütigung verbunden.

Zwischen den Zeilen klingt heraus, dass Sie ungeduldig sind. Was macht Sie wütend?

Gabriele Fischer: Vielleicht bin ich manchmal ungeduldig, aber ich kann auch verstehen, warum die Veränderung vielen so schwerfällt. Wir waren in Deutschland in der Industriegesellschaft ganz weit vorne, sind jetzt unter einem starken Druck und nicht eben berühmt dafür, dass wir mit Veränderungen gut umgehen können. brand eins versucht deshalb immer wieder Argumente dafür zu liefern, dass ein Veränderungsprozess nichts Schlechtes sein muss und am Ende etwas Besseres entstehen kann. Wütend machen mich Systeme wie Hartz IV, weil sie dafür sorgen, dass Menschen damit beschäftigt werden, andere Menschen rund um die Uhr zu kontrollieren. Dabei könnte es so einfach sein, immerhin hat sich die Gesellschaft längst damit abgefunden, dass wir für Hartz IV zahlen. Die offene Frage ist: Akzeptieren wir das nur, wenn die Betroffenen im Gegenzug gedemütigt werden?

Wir müssen alle etwas tun, um den Wandel zu gestalten – aber was?

Gabriele Fischer: Es ist unumstritten, dass wir in Sachen Bildung jede Menge zu tun haben. Die Diskussion wabert mir allerdings ein wenig zu sehr um die Frage herum, ob denn genug junge Menschen Abitur machen und studieren können. Wichtiger scheint mir, Bildung grundsätzlich neu zu denken – weg vom Wissen ansammeln, hin zu einer Ausbildung, die Menschen darin trainiert, mit Wissen umzugehen. Und das wird für den Bäcker so wichtig wie für den Biochemiker. Wir müssten lernen, aus der Zukunft über die Gegenwart zu denken – und sollten aufhören, wie die Politik aus der Gegenwart auf die Vergangenheit zu starren.